Heute leben wir in einer Zeit, in der wir (zumindest im Abendland) viele Rechte erworben haben und auch aus einem gesellschaftlichen Gesichtspunkt scheint es, dass wir im Vergleich mit 2 oder 3 Generationen zuvor eine viel größere Freizeit genießen. Es gibt, meiner Meinung nach, viele Vorteile heutzutage in unserer Gesellschaft, auf die wir richtigerweise niemals verzichten könnten.
Aber es gibt, meine ich, eine noch tiefere und subtilere Freiheit, auf die wir ständig verzichten. In den täglichen Situationen unseres Lebens sind wir oft viel weniger frei als wir denken. Wir sind ständig von unseren Gedanken selbst eingeschränkt, und diese Gedanken verwandeln sich mit der Zeit in Verhalten und Einstellungen, die unser Leben und unsere Entscheidungen sehr stark beeinflussen. Und somit leben wir eingesperrt in diesen Gedankensystemen und wir sind viel weniger frei, als wir sein könnten.
Diese Situationen sind manchmal sehr einfach zu erkennen, und manchmal ist es hingegen sehr schwer, weil diese Einstellungen und dieses Verhalten so stark in uns verankert sind, dass wir denken, sie gehören zu unseren Charaktereigenschaften oder zu unserem Temperament. Aber oft handelt es sich von Strategien, Verteidigungen, Masken, die wir über die Zeit angenommen haben.
Die Gründe liegen wahrscheinlich in unserer Vergangenheit, vielleicht erinnern wir uns auch nicht mehr an sie. Vielleicht haben wir zum Beispiel als Kinder gelernt, dass wir immer gut und brav sein mussten, um geliebt und aufgenommen zu werden, und wir haben somit gelernt, immer ja zu sagen, den anderen nicht zu widersprechen, unsere Meinungen nicht zu äußern, weil wir sehr tief in uns Angst hatten, nicht akzeptiert zu werden. Vielleicht sind wir uns dessen heute auch nicht immer bewusst. Oder wir haben hingegen gelernt, aggressiv zu sein, um angehört zu werden. Man hat Angst, nicht anerkannt zu werden, nicht „gesehen“ zu werden, und versucht, seine eigene Meinung aggressiv darzulegen. Die Gründe können zahlreich sein, dies sind nur ein paar Beispiele.
Aber jenseits der Gründe und Motivationen, die sehr persönlich sind, kann es vorkommen, in bestimmten Situationen unseres Lebens eine solche Inauthentizität zu fühlen. Wir sagen „Ja“ aber wir spüren im Herzen ein „Nein“. Wir fühlen uns gezwungen etwas zu tun, das wir nicht möchten. Manchmal ist das unmöglich zu vermeiden, aber manchmal hängt es nur von uns ab. Aber wir sind oft so stark von solchen Einstellungen und Verhaltensweisen geprägt, dass es sehr anstrengend ist, anders zu werden oder anders als normalerweise zu reagieren, weil es gegen die Erwartungen der Anderen geht, die wir nicht enttäuschen wollen. Wir fühlen uns innerlich zersplittert.
Wie kann man da herauskommen? Die wahre Freiheit in diesem Sinn heißt vor allem, den assoziativen Automatismus des Geistes, d.h. der Gedanken, nicht zu verfolgen. Es gibt nämlich eine lange Reihe von Gedanken, die hinter unseren Verhaltensweisen und Entscheidungen stecken, die uns beeinflussen. Wenn ich Angst vor einer Situation habe, gibt es bestimmt eine Reihe von Gedanken dahinter, die dieses Gefühl rechtfertigen und nähren. Man sollte lernen diese Gedanken endlich loszulassen, sich nicht an sie zu klammern. Paradoxerweise sind uns unsere negativen Gedanken sehr lieb, da sie uns irgendwie definieren, und ohne diese könnten wir nicht leben. Wir sind daran gewöhnt und die Gewohnheiten sind eine solche Sicherheit. Die Gedanken loszulassen, sich nicht an sie zu klammern, ist das wirklich möglich?
Ja, aber wie alles, das wichtig und schwierig ist, braucht man viel Einsatz und den tiefen Wünsch, sich ändern zu wollen. Wenn wir das wirklich machen, zum Beispiel in der Meditation, wenn zum wiederholten Mal beim Ausatmen diese Gedanken losgelassen werden, kann man erfahren , dass sich in einem plötzlich ein Raum öffnet, wo man sich endlich befreit von solchen Bindungen spüren kann. In einem ersten Schritt werden diese Gedanken anerkannt. Das Atmen beruhigt und die Ruhe, die in der Tiefe des Gemüts liegt, kann langsam auftauchen. In einem zweiten Schritt werden die Gedanken anerkannt und sie werden sofort losgelassen. Wir lernen, uns mit diesen Gedanken und Gefühlen nicht zu identifizieren. Es ist wie eine Reinigung des Geistes, der so oft von der chaotischen Verwicklung unserer verstreuten Gedanken erdrückt wird. Außerdem schwächen die negativen Gedanken unsere Struktur, geistige und körperliche, mit der Konsequenz, dass wir keine Kraft haben anders zu reagieren. Und wir wiederholen immer wieder die gleichen Verhaltensweisen. Was kann man hingegen mit den erwähnten wiederholten Meditations-Übungen erlangen?
Dadurch erfahren wir mehr Ganzheit, und die Ganzheit ist ein wirklicher Zustand des Körpers und des Geistes, die erfahrbar ist, in der wir keine Zersplitterung spüren, keine innere Trennung. Ein größeres Niveau von Ganzheit entspricht einem größeren Niveau von innerer Kraft. Die Ganzheit gibt uns die Kraft und Klarheit, uns auf neue Art und Weise auf Menschen und schwierige Situationen einzustellen, und gibt uns das Bewusstsein, dass wir nicht unbedingt von den Anderen aufgenommen werden müssen, und dies viel besser ist, als ständig in einer drückenden Situation zu leben oder mit sich selbst im Konflikt zu sein. Die wahre Freiheit ist also eine innere Freiheit, die uns mit uns selbst versöhnt, weil wir uns mit uns selbst endlich Eins fühlen. Das gibt uns die Kraft die schwierigen Situationen unseres Lebens ändern zu können. Das gibt uns die Kreativität, neue Möglichkeiten und Lösungen zu schaffen, um auf die Welt um uns herum einzuwirken.