Aufbrechen von der eigenen Unwissenheit zu einem Weg des Entdeckens
Es gibt Worte, über die man immer unterschiedliche Dinge sagen kann, Einstellungen und grundsätzliche Haltungen, wesentliche Optionen des Spektrums der menschlichen Möglichkeiten äußern kann.
Nehmen wir das Wort „Demut“. Es kann in unzähligen Weisen angegangen werden. Eine von diesen, deren Augenfälligkeit mich ständig beeindruckt, ist, dass heute das Studium des Menschen und gleichzeitig das des Kosmos tatsächlich eine solche Demut von uns fordert, die wesentlich von der Anerkennung herrührt – die vielleicht niemals so klar gewesen ist – all der Dinge, die wir nicht wissen.
Wie viel Unbekanntes in der Kenntnis des Kosmos!
Nie ist das sokratische “Ich weiß, dass ich nichts weiß”, wenn man genau darüber nachdenkt, so offenbar gewesen. Man muss es nur sehen wollen . Also man muss eben wissen, wie man es anzuschauen hat. Also man sollte eben wissen, wie man es anschauen kann. Wie man das gesamte Bild sieht . Zum Beispiel vor dem Meer an astronomischen Nachrichten, die uns ständig aus den unterschiedlichen Medien entgegenschlagen (das sicher sehr gut ist!), vor so eklatanten Entdeckungen wie die des Planetensystems Trappist-1 mit sieben eventuell bewohnbaren Planeten. Wer denkt an die Tatsache, dass in Wirklichkeit mehr als 95% des ganzen Universums aus etwas besteht – den glaubwürdigsten Theorien zufolge – dessen Natur wir nicht kennen? Dunkle Energie und dunkle Materie zusammen, im aktuell denkbaren Rahmen, stellen quasi das ganze Universum dar. Alles, praktisch alles. Außer ein paar kümmerliche 4,9% Materie, die wir kennen. Und das ist praktisch alles, was wir kennen (in Wirklichkeit wissen wir davon letztlich noch weniger, da es von diesen 4,9% noch sehr viel zu verstehen gibt… )
Verstehen Sie, was wir gerade dabei sind, zu entdecken? Nehmen wir an, dass diese winzigen 4,9% des „Sichtbaren“ das ist, was die Erde, die Sonne, die Sterne die nahen und die fernen Planeten, unseren Körper, das Wasser, das wir trinken, das Essen, das wir essen, ausmacht. Was uns in unserem täglichen Leben „Alles“ scheint, ist, wenn überhaupt, ein sehr sehr kleiner Teil von etwas unglaublich Größerem und für die Augen Unsichtbarem.
Die Wissenschaft sagt uns, dass der größte Teil des Existierenden etwas ist, was wir nicht direkt erleben können: Es liegt in einem gewissen Sinne außerhalb unserer Welt.
Ich glaube also, dass die erste Botschaft zum Behalten folgende ist: Fast alles, das existiert, sieht man nicht.
Die verborgene Harmonie ist besser als die offensichtliche, sagte Heraklit schon vor 2500 Jahren. Und es scheint, als würden die Daten der neuesten kosmologischen Untersuchungen genau diese Behauptung des bekannten Philosophen bestätigen – auch von einem strengen wissenschaftlichen Gesichtspunkt aus gesehen.
Alles was wir sehen und bewundern, scheint gerade einmal ein winziger Teil, von dem was existiert.
Was können wir heute, von einem astronomischen Gesichtspunkt aus, über dieses “fast Alles“ sagen, das unseren Sinnen in jedem Falle unzugänglich ist? Was wissen wir wirklich von der dunklen Energie und der dunklen Materie?
Also, die dunkle Energie ist eine hypothetische Form von Energie, die nicht direkt feststellbar ist, und homogen im Universum verbreitet ist. Es wird geschätzt, dass sie circa 68% der Energie-Masse des Universums ausmacht (wir sprechen von „Energie-Masse“ , weil wir wissen, dass Masse und Energie im Grunde äquivalent sind, wie Einstein uns gelehrt hat). Die dunkle Energie ist es auch die verbreitetste Lehre unter den Kosmologen, um die beschleunigte Expansion des Universums zu erklären, das heißt die Tatsache, dass sich die Himmelskörper voneinander mit zunehmender Geschwindigkeit entfernen (auch das eine große Überraschung, die erst kürzlich gemacht wurde ). Sie stellt also eine wichtige Komponente des sogenannten „ Standard-Modells“ der Kosmologie, das auf der Big Bang-Theorie gegründet ist, dar. Ihrerseits stellt die Big Bang-Theorie die momentan glaubwürdigste Entstehungsgeschichte des Universums dar, die nahezu von der Gesamtheit der Forscher als die realistischste Hypothese über die Bildung des Universums angenommen wird, und die besser als jede andere Hypothese die Daten, über die wir verfügen, erklärt. Nach dieser Vorstellung ist unser Universum vor circa 13,7 Milliarden Jahren aus einem „großen Urknall“ entstanden und entwickelt sich seitdem stetig weiter.
Soweit zur dunklen Energie , die eben so eng mit der Dynamik der unendlichen Ausdehnung des Universums verbunden ist.
Mit dunkler Materie definiert man hingegen eine hypothetische Komponente von Materie, die nicht direkt beobachtbar ist, da sie, anders als die uns bekannte Materie, kein Licht hervorbringt und sich nur durch ihre Gravitationsauswirkung zeigt. Es wird behauptet, dass die dunkle Materie einen großen Teil, fast 27% der totalen im Universum präsenten Energie-Masse, bildet.
Anders gesagt, wenn auch sehr grob zusammengefasst, aber im Wesentlichen korrekt: Zwischen dunkler Energie und dunkler Materie, (wenn das Modell des Universums zutrifft – und viele Zeichen sagen uns, dass es zutrifft) will uns das etwas sehr Wichtiges sagen: Es will sagen, dass fast alles unsichtbar für uns ist.
Hier könnte einer denken: Nun ja das Studium des Kosmos ist eigentümlich und kompliziert. Abgemacht. Aber was sollen wir über den Menschen sagen ? Über den Menschen wissen wir längst alles. Aber das ist in Wirklichkeit gar nicht der Fall. Und das Interessante ist, dass wir auch hier mit ähnlichen Prozentsätzen um uns werfen, auch wenn sie weniger streng bestimmt sind. Ich lese nämlich aus den psychologischen Abhandlungen, dass circa 95% unseres Geistes unbewusst ist. Das heißt: der Ort, wo sich psychische Prozesse abspielen, die dem sogenannten rationalen Denken unzugänglich sind. Sie überschreiten, anders gesagt, das rationale Denken. Also auch in diesem Fall muss unsere Rationalität anhalten. Sie muss sich ergeben vor einer grundsätzlichen Unwissenheit. Wir können das Unbewusste auf jeden Fall ausloten, wir können über seine Auswirkungen spekulieren, aber es ist ein bisschen wie eine Sonde in den Weltraum zu werfen: Wir bringen wertvolle Daten nach Hause, aber um sie herum bleibt in jedem Falle ein tiefes Mysterium. Wir stehen vor der Augenfälligkeit einer nicht direkt untersuchbaren Zone, die aber entscheidende Auswirkungen auf den bekannten Teil hat. Und das gilt sowohl für den „Raum draußen“ (das Universum) als auch für „ den Raum drinnen“ (die Psyche).
Diese außerordentliche Übereinstimmung ist erst in den letzten Jahren herangereift und sie ist sicher bedeutungsvoll für diese „extremen Zeiten“, in denen wir gerade leben.
Ich weiß nicht wie es euch geht, aber mich persönlich beängstigt diese so ausgedehnte und unbekannte Aureole überhaupt nicht, ich finde sie vielmehr beruhigend. Diese Sachlage anzuerkennen, ohne dass sie entmutigend ist, impliziert dagegen, dass ich weder als Mann noch als Forscher niemals diesen schrecklichen Satz „Ist das alles?“ sagen kann. Das schließt das Bewusstsein ein, einen Weg vor sich zu haben, einen Weg, der noch viele Überraschungen für uns bereithalten kann. Einen Weg der – so glaube ich – sich nur durch eine Erneuerung unseres Geistes entfalten kann, um uns dem Verständnis für das noch Unbekannte anzupassen.
Und es ist hier, dass ich eine persönliche Überlegung einfügen möchte, die insbesondere die Weise betrifft, wie wir auf unsere Grenzen schauen, auf dieses riesige Nicht-Wissen. Einem so großen geheimnisvollen Universum ist, meiner Meinung nach, ein poetisches Universum innewohnend. Das heißt, ein Universum, dem wir uns auf zufriedenstellende Weise nähern können, und zwar auf einem menschlichen Niveau. Aber nur, wenn wir uns nicht auf die Erkenntnis-Parameter der Wissenschaft beschränken, sondern uns einem breiteren Bereich öffnen. Die Wissenschaft, wir haben es gesehen, begrenzt uns auf diese winzigen 4.9%. Und das ist eine außerordentliche, präzise Information, klar wir niemals zuvor. Abgemacht. Aber wie können wir den Rest füllen? Und womit?
Ihn nicht zu füllen wäre keine Wahl, keine Option, denn die Natur lehnt das Vakuum ab. Also würde der Rest in jedem Falle mit etwas anderem gefüllt werden. Durch Klatsch und Tratsch, durch Gedanken, Sorgen und anderes (wie es oft passiert). Unser Himmel ist immer besetzt, vollkommen. Also ist vielleicht ein Willensakt nötig, ein Akt der Fokalisierung. Wir entscheiden, wie wir den Himmel anfüllen, wir erschaffen den Himmel, den es zu erfüllen gilt. Die Wissenschaft tritt zur Seite und lässt uns freies Feld. Und das ist ein Universum, was es vor allem mit Sinn zu erfüllen gilt und daher mit Dichtung. Die Dichtung ist nämlich, könnte man sagen, die Tätigkeit, die den Dingen einen ultimativen und stärkenden Sinn verleiht, und die Dinge auf intuitive Weise zu ergründen versucht, nicht auf rationalistische Weise. Und dieses Universum ruft uns zu einem poetischen Akt auf, denn es will auf viel tiefere Weise entdeckt werden, als nur durch rationale Untersuchung.
Und gleichzeitig ruft die Dichtung nach dem Universum, sie will es bei sich haben. Sie suchen sich gegenseitig , seht ihr ? Das ist einer gegenseitiger Beziehungswunsch.
Wenn ihr nicht daran glaubt, hört , was Ungaretti in einem seiner „verstreuten Gedichte“ sagt.
Die Tage und die Nächte klingen/ in meinen Harfensaiten// Ich lebe/ von dieser kranken Freude/ des Universums/ und leide/ weil ich nicht weiß, wie ich sie entflammen kann / in meinen Worten.
Die Freude des Dichters ist „universumskrank“ , da sie die Totalität möchte, sie begnügt sich mit nichts als dem Ganzen. Dem Universum. Sie ist da, um die Leere, die die Wissenschaft hinterlässt, anzufüllen, aber sicherlich nicht, um ihre Arbeit an sich zu reißen oder mit Füßen zu treten. Vielmehr verbindet sie sich mit dem wissenschaftlichen Konstrukt, um dem Menschen ein noch umfassenderes Wissen zu geben. Es geht nämlich nicht darum, gegen die Wissenschaft anzugehen, sondern es geht vielmehr darum, zu einer ganzheitlichen Auffassung über den Menschen zurückzukehren. Eine Idee, die die wissenschaftliche Kenntnis in den um einiges umfassenderen Bereich der menschlichen Kenntnis integriert.
Da ist also das poetische Universum: das ist der Raum der Erkenntnis, aus der Perspektive eines Menschen, der vollständig wird. Ein Mensch, der in sich unterschiedliches Wissen vereint, von dem er letztlich genau weiß, dass es gar nicht unterschiedlich ist.
Im Bewusstsein der unendlichen Unverhältnismäßigkeit zwischen mir und Ungaretti (ein Dichter, den ich innig bewundere) versuche auch ich in dem Gedicht „Multiversi“, aus der Sammlung „In pieno volo“, zu sagen:
Ich schaue inzwischen / unsere uns inneliegendste Dichtung an/ Die leise Modulation// elastisch gespannter Wellen/ von Sonne und Schatten durchsichtig gemacht.// Die eng aufeinander folgen/ in den unendlichen inneren Räumen.// Wo du auf mich wartest / da warte ich auf dich / um die verrückte Idee der Vervollständigung zu stammeln /jenseits jedes Schattens, jedes Bösen.// So schlagen die Glocken – jetzt – wo Du schamlos die unausgesprochene Geduld beugst/ auf der Haut wie ein Diadem getragen. //Das einzige Ornament übrigens // schöner und wesentlicher als du, nackt. // Der einzige Duft lieblicher als dein Geruch. // Und jede deiner Verbiegungen / ist ein sich Zeigen, ein Einladen:/ Zeit und Raum schaffen.// Darum sehe ich es// wer sich nicht in die Dichtung einmischt und wer sich dagegen damit beschmutzt/‒ sich bewegend auf der Schneide zwischen Lächerlichem und Erhabenem ‒/ regnet es Horizonttrauben, Myriaden von Welten.// So wie es zwischen einem “Nein” und einem “so sei es”/ einen so großen Abstand gibt/ so ist das Unendliche Selbst eine geringfügige Sache.
Da ich weiß, dass ich gerade erst am Anfang der Entdeckungsreise bin (des Kosmos und von mir selbst), wäre jede mehr oder weniger arrogante Haltung fehl am Platz. Das gleiche gilt für jede Art von Versuchung, sich durch den Rationalismus verleiten zu lassen, die Wirklichkeit auf das rational Erkennbare zu beschränken . („Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege— spricht der HERR.“ Jes 55,8). Viel besser wäre es, sich zu ergeben und zuzugeben, dass es Wirklichkeiten gibt, die mein Verständnis weitaus übertreffen.
Und die korrekteste Haltung scheint hier wirklich einmal mehr die Demut zu sein, das zarte und befreiende Bewusstsein um die eigenen Fähigkeiten und Grenzen.
Übersetzung von Maila Arelli und Marit Albrecht