Selbstverwirklichung

Entspricht Selbstverwirklichung für mich, meinen Traumjob zu finden? Ja, für lange Zeit habe ich das gedacht, und wahrscheinlich immer noch, weil ein Traumjob (wenn es sich wirklich um einen Traumjob handelt) uns die Möglichkeit geben sollte, uns selbst und unsere Werte auszudrücken. Diese Antwort hat mir teilweise geholfen, mich dem wichtigsten Punkt meiner Frage zu nähern.

Die Selbstverwirklichung ist etwas, das mich tief berührt, das meinen Werten und meinen Ideen entspricht und das ich irgendwie ausdrücken kann. Es kann einem potentiellen Traumjob entsprechen oder aber auch gar nicht.

Aber an diesem Punkt kommen noch weitere Schwierigkeiten: Welche Werte definieren mich, was gehört wirklich zu mir und was kommt dagegen aus meiner Geschichte, meiner Umgebung, meiner Kultur und so weiter. Das ist die Frage aller Frage: Was bin ich wirklich? Ich spüre, dass die Antwort dieser Frage eng verbunden ist mit unserer ersten Frage: Was macht mich wirklich glücklich und was bedeutet Selbstverwirklichung?

Ich glaube, dass auf diese Frage keine endgültige Antwort gegeben werden kann: Sie lässt sich sehr schwer fassen, weil all diese Aspekte eng miteinander verbunden sind und sich nicht einfach voneinander trennen lassen geschweige denn einrahmen lassen. Wir sind unsere eigene Kultur, wir sind unsere eigene Geschichte, individuell aber auch im Kollektiv, und das Ergebnis einer bestimmten Erziehung, bestimmter Werte, die wir von unserer Familie geerbt haben. Gleichzeitig sind wir aber auch ein großes Mysterium, da wir nicht nur eine Mischung aus all diesen Aspekten sind, sondern auch die Fähigkeit besitzen, all diese Aspekte persönlich und kreativ zu verarbeiten. Unsere Gedanken, unser Bewusstsein sind nicht einfach das mechanische Erlebnis aus der Mischung aller oben genannten Aspekte, die aber auf jeden Fall eine sehr wichtige Rolle spielen.

Vielleicht ist es unsere Tendenz, alles definieren zu wollen, die uns nicht akzeptieren lässt, dass unser wahres Ich nicht nur unter einem biologischen oder psychologischen oder neurowissenschaftlichen Aspekt erklärbar ist. Was ist dieses Ich, das sich überhaupt diese Frage über sich selbst stellt, und warum möchte es das eigentlich wissen? Weil ich ein Mensch bin und die Fähigkeit habe, zu denken. Und ein Mensch kann nicht aufhören, sich radikale Fragen zu stellen. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das sich über sich selbst fragen kann. Und schon allein diese Frage und noch mehr dieser Wunsch, sich zu fragen, öffnet die Tür für etwas anders, das die unendliche Quelle des Flusses meines Denkens ist.

Und ich spüre, dass sich hier vielleicht eine erste tieferer Antwort auf meine erste Frage finden lässt. Ich spüre, dass das, was mich glücklich macht, diese Leidenschaft ist. Die Leidenschaft nach der Suche, mich wirklich kennenzulernen. Denn man verändert sich ständig, je nach dem, wie ich mich dieser unendlichen Quelle des Denkens, welches mein Ich bildet, öffne.

Und auf dieser Suche habe ich noch eine weitere Antwort gefunden: Je besser ich mich selbst kenne, umso mehr entdecke ich meine Gaben (Wir alle haben sehr viele davon und wir sollten sie ganz ohne Angst entdecken. Oft haben wir Angst, zu selbstsicher oder gar eingebildet zu sein. Doch die Gaben sollten zur Verfügung unserer Mitmenschen stehen und nicht, um sie zu beherrschen oder sie zu demütigen).

Wenn ich etwas von mir entdecke, eine Gabe oder eine Stärke, die ich ausdrücken kann und mit den anderen teilen kann, damit es ihnen besser geht (und im Umkehrschluss, wenn ich von den Gaben der anderen profitieren kann, um auf meinem Weg besser voranzukommen), dann fühle ich mich verwirklicht und glücklich. Aber das ist ein langer Weg, denn sich selbst kennenzulernen und – schwieriger noch – sich ohne Angst ausdrücken zu können, ist vielleicht die wahre Aufgabe des Lebens. Trotz allem scheint mir dies eine der schönsten Aufgaben unseres Seins.