Befreien und heilen

Der Großteil der Ausdrucksformen unserer abendländischen Gesellschaft
gründet sich auf die Zelebrierung der Sinnlosigkeit, des absoluten Nichts.

Jenseits jedes einfachen Moralismus ist es ohne Zweifel, dass die dunkle, nihilistische, zerstörerische Seite des menschlichen Wesens, die in allen existiert, ob man sich dessen nun bewusst ist oder nicht, eine Anziehung und eine besondere Faszination ausübt.
Wenn wir an die Musik, an die Kunst, an Kino denken. Das, was an den Schatten hervorbringt hat eine unglaubliche Wirkung.
Warum? Ich denke, dass die Frage sehr komplex ist. Jedenfalls denke ich, dass, wenn man sich die Faszination anschaut, die dieses auf vor allem die Jüngeren ausübt, die Botschaften von Zerstörung, Unwohlsein und Sinnlosigkeit mit dem Gefühl, sehr lebendig, sehr real zu sein, korrespondiert.

Ein Gefühl, das trotz allem, den Wunsch nach Vitalität in sich verbirgt, den Wunsch, in Kontakt mit Emotionen zu treten, die uns in irgendeiner Weise mit einem tiefen, tatsächlich existierenden wenn auch gut versteckten Teil von uns,

Wir leben in der Tat in einer schizophrenen Gesellschaft: Auf der einen Seite verlangt die Arbeitswelt, die Schule, die Universität, all die Bereiche der sozialen Organisation eine Effizienz, eine Funktionalität, eine Perfektion, die sich auf die ständige Verdrängung dieser Gemütszustände gründen.

Auf der anderen Seite sehen wir in den freien Zeiten, am Wochenende, oder in jedweder Situation, in der man sich losgelöst fühlt von all diesen Belastungen und Verantwortungen, eine wahrhaftige Transformation der Menschen, manchmal kaum zu glauben! Und es ist auf diese Weise, dass unsere effizienten Städte zu einer Art obszönen Theater werden. Keine Hemmungen mehr, alles ist erlaubt! Der Schatten taucht mächtig und lebendig wie nie zuvor auf.
Der Punkt ist aber, dass die bloße Verurteilung nichts bringt.

Sie ruft lediglich die gegenseitige Wirkung hervor. Ich denke, dass unsere postmoderne Gesellschaft, Tochter der Überschreitungen und der Experimente des 19. Jahrhunderts, in dem man nicht zufälligerweise damit angefangen hat, die menschliche Psyche mit zunehmendem Interesse zu sondieren, all die notwendigen Mittel besitzt, um diese Phänomen zu verstehen.

Wir wissen, dass die Verurteilung nur eine weitere Grenze darstellt, die es zu überschreiten gilt. Aber Verständnis bedeutet nicht Ablass. Es bedeutet nicht, etwas zu billigen. Leider bewegen wir uns in vereinfachter Form entweder auf der einen Ebene oder auf der anderen: endgültige Verurteilung oder extreme Toleranz. Aber weder das eine noch das andere sind nützlich für uns, um uns zu entwickeln. Das Verständnis ist wichtig, um zu begreifen, dass bestimmte Zustände einem Gefühl der Seele entsprechen, das sehr real ist.

Eine Seele, die meistens unterdrückt ist, die sich vor allem in ihrer dunkelsten Seite lebendig und vital fühlt. Ein Ort, wo sie sich nicht dazu zwingen muss, so zu tun als ob alles in Ordnung wäre. Sie muss sich nicht dazu zwingen, zu „funktionieren“. Diese dunkle Seite muss kennengelernt, verstanden und in sich integriert werden. Allerdings ist es notwendig, eine kreative Fähigkeit nachzuholen, die über diese Verzweiflung, diese Vernichtung und dieses dauernden Zelebrieren der Sinnlosigkeit hinausgeht. Die Seele braucht starke, hohe und kräftige Worte, um sich zu nähren.

Worte, die sie heilen können. Wir müssen durch alle kreativen Formen, zu denen wir fähig sind, ausdrücken, dass der Mangel an Sinn nicht die letzte Etappe der Reise ist. Wir können und wir sollen den Mut haben, diesen Abgrund zu überwinden. Es ist die Zukunft selbst der Menschheit, die auf dem Spiel steht. Denn was können unglückliche Menschen schaffen, die im Grunde davon überzeugt sind – jenseits ihres perfekten Anscheins der Leistungsfähigkeit – das alles nutzlos ist und dass es sich im Grund für nichts lohnt, zu kämpfen, wenn nicht das bloße Überleben des Tages? Und somit des Lebens? Ein Leben, das im Grunde bloß in Erwartung des Todes gelebt wird, im Versuch, es so gut es geht zu genießen, aber ohne zu sehr auszuschlagen, höchstens durch ein paar mehr oder weniger gewagte Überschreitungen.

Diese Art der Überschreitungen kann wirklich niemanden mehr erschüttern. Was ist es denn wirklich, was sich all diese Menschen wünschen? Alle sehnen sich nach der authentischen Freiheit, also nach der Möglichkeit, vollkommen sein zu können und nicht versklavt zu sein, ständig von nutzlosen Lasten erdrückt zu werden, die uns von einem sozialen System, das sich von jeder noch so kleinen Einheit unserer Energie ernährt, auferlegt werden. Eine Freiheit, die eine innere Freiheit ist, eine Freiheit des Geistes, wie auch immer man das verstehen mag. Alle möchten wahrhaft glücklicher sein. Glücklicher sein bedeutet, den Schmerz, der uns erdrückt, zu verringern. Befreien und heilen, wir sollten nichts anderes tun, als uns zu befreien und uns von den schmerzhaften seelischen Wunden zu heilen. Alles Weitere würde von selbst kommen und es sollte nie so sein, dass wir diese grotesken Masken brauchen.

Maila