Willst du es wirklich verstehen,
was Weihnachten ist?
Fragte Pater Tommaso aus dem Nichts heraus
Reginaldo und unterbrach damit sein langes
Schweigen. Es war Dezember im Jahr 1273,
und Tommaso hatte bereits seit September nichts
mehr geschrieben, alles schien im nichtig,
unnütz seine feinen Schlüsse,
denn er hatte ganz andere Überlegungen angestellt: „Also?
Willst du etwas über Weihnachten verstehen,
jenseits der ganzen Predigten, jenseits einer etwas einfältigen,
finsteren oder kitschigen Moral, die du zuhauf aus Mündern,
die ins Leere reden, hörst?“
Aber sicher, antwortete Reginaldo,
dein Wort, Tommaso, ist das einzige Licht,
das mich nie enttäuscht hat.
„Gut, dann schau diese gelbe Chrysantheme an,
schau sie genau an, siehst du, wie schön sie ist?
Und schau nun die Kiefer da draußen vor dem Fenster an,
und die schwarze Amsel da unten, und betrachte nun,
aber mit Liebe,
meine Hand, schau, wie schön sie ist,
und wie kompliziert und weise. Und versuche nun zu fühlen,
wie all diese Formen von einem Gedanken durchdrungen sind, oder besser noch, sie sind Gedanke, eine unendliche denkende Substanz,
die sich in abertausenden Formen ausdrückt,
spürst du das, Reginaldo?“ Es ist kühn, Meister,
was du mir anbietest, aber ich versuche es und ich glaube,
etwas zu verstehen. „Gut, gib nicht auf!
Verstehst du es also, dass dieser so kreative Gedanke nichts anderes sein kann, als die gleiche kreative Macht Gottes?“ Sicher, Vater,
was könnte es sonst anderes sein?
„Und dieser Gedanke also, der alles ins Leben ruft,
und der auch das Licht ist,
das dich in diesem Moment
meine Worte verstehen lässt, dieser auf
ewig aktive und selbst-bewusste Gedanke
wird ein Mann auf Erden,
ein menschliches Ich, und sagt eben Ich
Bin,
und beginnt zu sprechen, und sagt uns all das,
was wir schon immer gern gewusst hätten. Nicht nur das.
Dieses Ich, welches das Wort Gottes ist, sein
Bewusstsein, verstehst du? Dieses Ich überträgt uns
sein eigenes Selbst-bewusstsein, seinen Geist,
weswegen Ich, Tommaso d’Aquino, nun
nichts anderes bin als die Stimme
des Geistes von Gott, sein Gedanke,
der gerade zu dir spricht, verstehst du?“
Ich habe fast ein wenig Angst,
Vater, dass das, was du sagst,
von der Kirche missverstanden
und auch verurteilt werden könnte. „Deswegen, mein Freund, habe ich entschieden, nicht mehr zu schreiben, ich sterbe lieber, und ich glaube, dass es bald so weit sein wird,
anstatt zu lügen und die Welt mit weiteren
Vorführungen und Märchen zu füllen,
die vielleicht erbaulich sein mögen,
die aber nur dazu dienen,
die Armen in der Sklaverei zu halten und allesamt
in der Ignoranz. Aber Weihnachten, lieber Reginaldo, ist nur das hier: Der Gedanke Gottes
wird zum eigenen Bewusstsein
eines jeden menschlichen Wesens, und unser wiederauferstandenes Fleisch beginnt, zu singen, Gott wird also Mensch,
um uns zu vergöttlichen!
Wenn du das glaubst, wenn du es jetzt glaubst,
kannst du es erleben,
mit mir,
und dich bis zum Umfallen daran erfreuen.
Marco Guzzi