„Sich im Schweigen zu sammeln ist unabdingbar, um den eigenen Worten einen Sinn zu verleihen.
Aber auch, um den Sinn der Gespräche, die man hört, in Relation zu setzen.
Das Schweigen muss zwischen mir und dem anderen auch als ein Ort greifen, an dem wir uns treffen können, egal welche Unterschiede zwischen uns liegen.
Das Schweigen ist das erste Wort, das an den anderen gerichtet wird. Es ist das Zeichen meiner Bereitschaft, ihn aufzunehmen, ohne ihn meinem Gespräch anpassen zu wollen. Ohne ihn in meiner Welt einzuschließen. Das Schweigen dem anderen gegenüber ist eine Weise, ihn als „ jemand anderen“ anzuerkennen. Es ist eine Weise, ihm zu zeigen, dass ich ihn respektieren möchte, für das, was er ist. Ohne ihm meine Regeln oder meine Gewohnheiten aufzuzwingen. Mein Schweigen ist meine Art ihm zu sagen, dass ich nicht die Forderung stelle, ihn kennen zu müssen. Dass ich ihm einen Platz anbiete, in dem er existieren kann. Einen Platz, in dem er seine Unterschiedlichkeit zeigen kann, wie etwas, das mir unbekannt ist und das ich annehme. Mein Schweigen will darauf hinweisen, dass ich nicht alles weiß, und dass ich bereit bin, eine Wahrheit zu hören, die dem anderen gehört. Und ich kann ihn ermutigen, diese Wahrheit zu leben, zu pflegen und auszudrücken ohne, dass sie meiner eigenen Wahrheit unterworfen sein muss.“
Luce Irigaray,Psychoanalytikerin und Kulturtheoretikerin